Nichts als heiße Luft? Rauchen aus psychoanalytischer Perspektive
Einige theoretische Überlegungen und klinische Implikationen
DOI:
https://doi.org/10.15135/2023.11.2.1-17Abstract
Die Arbeit betrachtet den theoretischen Beitrag der Psychoanalyse zum Themenkomplex Rauchen und Nikotinabhängigkeit. Ausgehend vom ersten Protokoll der Psychologischen Mittwochs-Gesellschaft „Gespräch über das Rauchen“ (1903), werden verschiedene Gedanken, deren Brüche und Kontinuitäten in ihrer theoretischen Weiterentwicklung, innerhalb des letzten Jahrhunderts, schlaglichtartig beleuchtet und diskutiert. Nebst den theoretischen Perspektiven – von der Triebtheorie hin zur Objektbeziehungstheorie – werden zudem aktuelle Diskurse psychoanalytischer Publikationen zum Thema Rauchen und Rauchverbot exkursartig skizziert. In einem letzten Schritt werden klinische Implikationen für die Rauchentwöhnung im stationären suchttherapeutischen Setting formuliert. Der Text plädiert dabei für eine Modifikation des gegenwärtig dominierenden verhaltens(therapeutisch) orientierten Ansatzes und vertritt eine psychodynamische Perspektive, die das Rauchen als Symptom versteht und folglich die Notwendigkeit einer „Aufarbeitung des Verdrängten“ (Hofstadler & Pfaller, 2012) anerkennt – d. h. der Bewusstwerdung und idealerweise des Durcharbeitens einer intrapsychischen Dynamik bzw. eines innerseelischen Konflikts.
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