Körperlichkeit und Mentalisieren in der psychotherapeutischen Arbeit mit komplex traumatisierten Menschen
DOI:
https://doi.org/10.15136/2022.9.2.90-108Abstract
Im folgenden Artikel wird die Körperlichkeit als Basis für gelingendes Mentalisieren in der psychotherapeutischen Arbeit mit traumatisierten Menschen beschrieben. Eine sorgfältige Einbeziehung des körperlichen Ausdrucksverhaltens der Patient*innen und der zwischenleiblichen[1] Phänomene ermöglicht es, rätselhafte Zustände und bizarre Verhaltensweisen von traumatisierten Menschen besser nachzuvollziehen und passende Interaktionen zu gestalten. Das verkörperte Mentalisieren der Psychotherapeut*innen und das gemeinsame Mentalisieren des körperlichen Erlebens der Patient*innen erleichtern den Beziehungsaufbau und die Förderung von Vertrauen im Hier und Jetzt der psychotherapeutischen Situation. Auf dieser Basis kann die aufgrund traumatischer Erfahrungen nicht genügend entwickelte und / oder blockierte Mentalisierungsfähigkeit der Betroffenen gefördert werden. Darauf aufbauend können schließlich Narrative entwickelt werden, die Transformationsprozesse ermöglichen. Die hier vorgestellte psychodynamisch-mentalisierungsorientierte Traumatherapie fokussiert sich auf den Aufbau und die Aufrechterhaltung einer sicheren Beziehung, um Mentalisieren zu ermöglichen. Fallvignetten illustrieren die Interaktionsgestaltung und das Vorgehen unter Berücksichtigung der körperlichen Perspektive.
[1] Neben dem biologischen Körper als eine physiologische Einheit wird der Körper auch als erlebte, beseelte Entität betrachtet, die in Anlehnung an Merleau-Ponty (1962) als «leiblich» und «zwischenleiblich» bezeichnet wird.
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