Partizipation aus der Sicht eines intersubjektiven Gemeinschaftsgefühls
DOI:
https://doi.org/10.15136/2018.5.1.1-24Abstract
Die vorliegende Arbeit fasst Ergebnisse einer im Rahmen des Dissertationsprojektes der Autorin durchgeführten Untersuchung zusammen und entwickelt sie in Richtung Partizipation weiter. Sie beschäftigt sich mit einer Erweiterung der individualpsychologischen Grundlagen in Theorie und Praxis, in concreto mit dem von Adler in verschiedenen Bezügen geprägten Begriff des Gemeinschaftsgefühls, der sich nach seiner allmählichen Erschließung nun auch in seiner intersubjektiven Bedeutung aus den philosophischen Grundlagen, geschaffen von Fichte und Hegel, herleiten lässt. Sie weisen auf zwei für die Philosophen zentralen Aspekte für die menschliche Existenz hin, die sowohl für die Selbsterkenntnis des Individuums als auch für dessen Freiheit essentiell sind. Es sind dies die Begrenzung des Ichs am Anderen und die Anerkennung durch einen Anderen, wie sie in Fichtes und Hegels Werk angesprochen sind. Beides impliziert die Partizipation sowohl des Ichs als auch des Anderen in diesem intersubjektiven Prozess. Der praxisbezogene Teil der Arbeit befasst sich mit den weitreichenden Implikationen dieser Perspektiven sowohl in Bezug auf die Bezugsperson-Kind-Dyade in den ersten Lebensmonaten eines Säuglings bis zum Spracherwerb als auch für die Patient-Therapeut-Beziehung, die dem Therapeuten eine durchaus aktive Rolle im Rahmen der intersubjektiven Beziehung zuschreiben muss, wenn dem Patienten eine Erweiterung seines Erfahrungshorizonts gelingen soll.
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